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Ein Selbstportrait zeigt den Künstler in der Pause des Schaffens, im Atelier sitzend. Er blickt nicht zum Betrachter, wie bei Selbstbildnissen üblich, sondern sinnt in sich versunken, unter der Last des künstlerischen Ringens gebeugt, nach innen. Es ist kein Ruhen, nur die Hand bewegt sich nicht. Verstand und Seele ringen weiter, zur vollen Gestaltung der Vision, die aus seinem Inneren heraus projiziert werden muss, um den Betrachter einen Moment der bittersüßen Schönheit des Lebens zeigen zu können: das Unvergängliche im Vergänglichen, die Realität des Alltags, in der Formen-, Farben- und Lichterpracht der Kunst.

József Horváth, ein Mann von fast hünenhaftem Wuchs, trug eine ständig grübelnde, gegen jedes Lüftchen anfällige, kindlich unschuldige Seele des wahren Künstlers in sich. Mit seinen durchdringenden Augen suchte er melancholisch nach dem wahren Antlitz des Lebens, mit seinem Malerpinsel baute er in mönchischer Demut, mit selbstzerstörerischer Beflissenheit ein Ebenbild der Realität von übersteigertem Anmut auf: ein seltsames, unverwechselbares Reich der Visionen.

In den vielen Jahren eines mühseligen Lebens schuf sich der Künstler seine eigenständige Welt, eine wahrhaftigere Abbildung der Realität, aus der Schönheit, Wahrheit, menschliche Freude und Wehmut dem Betrachter entgegenstrahlen.

Nicht bei jedem Künstler deckt sich das menschliche und das künstlerische Profil. Bei ihm sind diese beiden zu einem einheitlichen Ganzen verschmolzen. Er malte, wie er lebte: unbestechlich, kompromisslos, von seinem menschlichen und künstlerischen Glauben nie abweichend, in der Erwartungshaltung, nur die Wahrheit zu sagen und der Sendung treu zu sein, indem man die Berufung demütig annimmt und in ihrem Dienste steht. Es war nicht einfach, den klaren Strahlen seines Blickes Stand zu halten, noch schwieriger war es, sich seine Freundschaft zu verdienen. So wie er die Krawatte am Halse nicht ertrug, konnte er auch unehrliche Worte, Lügen und Schmeicheleien nicht leiden. Auch seine menschlichen Schwächen hatten ihren Ursprung in seiner künstlerischen Größe. Er war nicht frei von Eitelkeit — hatte er doch auch Anlass dazu —, für diese Schwäche musste er aber einen bitteren Preis mit seiner Hypersensibilität bezahlen, da jeder kleine Kratzer an seinem Selbstbewusstsein für lange Wochen wie eine Entzündung bei ihm wirkte.

Er war ein andächtiger Mensch, ein Mensch der schamhaften Herzensgüte — und genauso war er auch als Künstler. Im Antlitz der vom Leben abgeplagten Alten, in der Mutter die sich über ihren Säugling beugt, im Perlmutt scheinenden Körper des im Waschsechter stehenden Mädchens, in den wiederkäuenden Kälbern im Stall, in einer Schüssel voller Mispeln, oder im zottelnden Ochsenwagen in der Herbstlandschaft, verkündete er unermüdlich die Ehrfurcht vor allem Lebendigen, wie es seit Jahrhunderten aus den Gemälden der Alten Meister strahlt.

Es gibt Maler, in denen ständig Stürme toben, die mit dem Zersprengen des fesselnden Alten, mit neuen Formen oder auch mit dem Verzicht auf Formen oder aber mit neuen Farbeffekten fieberhaft — und oft um jeden Preis — das Neue oder zumindest eine neue Stufe auf der Jakobsleiter der Kunst suchen. Im Schaffen von József Horváth gab es nichts Zerstörerisches. Er fing die Spannungen des Wachstums in sich auf, wie ein sich langsam ausbreitender Baum. Der Welt wurde dann nur das Ergebnis des überwundenen Ringens, der neue Segen der neuen Ernte vorgezeigt. In seinen Gemälden meldet sich das Neue nicht schrill, sondern mit leiser Natürlichkeit. Seine künstlerische Entwicklung zeigt weit weniger Bruchstellen auf als die von anderen; es gibt keine gewagten Sprünge oder schroffe Richtungswechsel. Er hat bereits im frühen Mannesalter die für ihn allein mögliche Ausdrucksweise gefunden und diese vervollkommnet, an ihr von Jahr zu Jahr unermüdlich gefeilt und sich durch das Kopfschütteln der Andersdenkenden nicht betören lassen. Denn es gab Kritiker, nicht wenige an der Zahl, die seine Entwicklung für nicht dynamisch genug, nicht dramatisch genug, nicht modern genug hielten, obwohl er andauernd im inneren Ringen verstrickt war, um in der Malerei, im Besonderen in der Aquarellmalerei die Möglichkeiten des Ausdrucks zu erweitern; nur wollte er dies nicht durch quadratische Äpfel, durch das Umwerfen der Perspektive oder durch die verblüffende Wirkung von verrutschten Gesichtskonturen erreichen, sondern durch den für jedermann verständlichen und erhebenden, noch vollkommeneren Formen- und Farbenzauber der Darstellung. Ja — er war ein Konservativer, in der edelsten Bedeutung des Wortes, ein „Erhalter der Werte“. Ein Imitator, ein Nachahmer des Existierenden war er nie, er war immer ein Creator; einer, der immer solches geschaffen hat, was es vor ihm nicht gegeben hat und was es nach ihm auch kein zweites Mal geben wird, da alle seine Werke aus der Vermählung der Wirklichkeit und der Vorstellungskraft des Künstlers entsprungen sind.

Es ist die pannonische Landschaft, welche das Wesen von József Horváth geprägt hat, und so ist auch sein künstlerisches Leben von dieser genügsamen Gegend gereift. Er wurde 1891 in Kemenesszentpéter (Komitat Vas) geboren. Dieses vom Trubel der Welt entfernte Dorf, in dem sein Vater Verwalter war, bewahrte damals noch einige uralte, volkstümliche Besonderheiten in voller Unberührtheit, wie Schafhirte mit ihren geflochtenen Zöpfen, die mit ihren bicska-s [1] wundersame Dinge schnitzen konnten und diese Handfertigkeit auch dem kleinen Joschka beigebracht haben. Sein erster Meister war Pischta (Stefan) Rabi, der Schweinehirt. Unter seiner Anleitung hat er einen reich verzierten Ringelpeitschengriff aus rotem Zwetschgenholz geschnitzt, während sie die Säue hüteten.

Zu Hause, im Elternhaus, das mit alten, edlen Möbeln eingerichtet und mit Lithographien und Gravierungen dekoriert war, umgab ihn die Atmosphäre der Hingebung an das Schöne, war ja sein Vater mit dem Ödenburger Maler und Kunstsammler Franz Storno befreundet. Von seiner hochgebildeten Mutter war er stets zur Achtung der geistigen Größe erzogen worden. Außer Hauses, unter seinen Bauerngesellen, am Ufer des Bankós-Sees oder an der Toten Raab, bei der Hanfröste, oder beim Maisschälen, beim Gänseteich oder bei der Schafschur — lauter Sujets von Millet, Zügel und Segantini — wurde dem Jungen jenes Leben in biblischer Einfachheit präsentiert, aus dem er später seine Visionen schöpfte. Die charakteristische Bindung seiner Malkunst an Ungarn ist zum Teil diesen Kindheitserlebnissen zuzuschreiben, hier wurzelt auch seine tiefe Zuneigung zu den einfachen Menschen und vielleicht kann auch die alles überströmende Ruhe seiner Gemälde als Erbe der Kindheit auf dem Dorfe betrachtet werden.

In seinem, in hohem Alter abgehaltenen Vortrag „Erinnerungen aus meiner künstlerischen Laufbahn“ erzählte József Horváth in der anschaulichen, zugänglichen Art des visuell denkenden Künstlers über das Leben des Heimatdorfes und der Dorfschule. Der Vortrag ähnelte einer mit Genrebildern vollgehängten Wand. Wir sahen die 156 Kinder der sechs Klassen im einzigen Klassenzimmer zusammengepfercht vor uns, auf dem Katheder den Schulmeister mit seinem geschniegelten Oberlippenbart, wie er eben den „halben Dezi“ Schnaps hinunterkippt, den er zuvor vom Greißler Hoffmann hatte holen lassen. Wir sahen den „Tatzenstecken“ beim Hieb auf die Fingerkuppen, wir sahen die Kinderschar den matschigen Boden des Schulhofes glatt stampfen, und sahen die Schulgenossen in ihren schlechten, weiten Hosen, wie sie die Hanfschleife in die große Zähe des auf die Schulbank gelegten Fußes einhängen, um so die passende Schnur zum geschnitzten Peitschenstiel zu flechten. Der zukünftige Genremaler hätte sich keine bessere Schule wünschen können.

Das Abschlusszeugnis der Elementarschule wurde vom Schulmeister — mangels Formularen — auf einen Bogen Papier geschrieben. Das war die erste Schulnote „sehr gut“, die Joschka im Fach Zeichnen bekommen hat. Denn zu dieser Zeit zeichnete er bereits leidenschaftlich, vor allem Husaren und Rösser. Plötzlich musste er aber dem paradiesischen Dorfleben Ade sagen, dem Gänseteich, den Kameraden, mit denen sie Vogelnester ausgehoben hatten; und musste sich schweren Herzens auf den Weg machen, in Richtung Stadt, die ihm je größer, desto unliebsamer erschien. Er kam ins Gymnasium der blondesten Ecke des blonden Transdanubien, nach Keszthely. Hätte es den Plattensee, das ethnographische Museum, die Entzückung über die Schnitzerarbeiten aus Zala und Somogy [2] sowie den ausgezeichneten Kunstlehrer des Gymnasiums nicht gegeben, der den Sehnsüchten von Joschka einen Weg zeigen konnte, wäre er in der ersten Zeit sehr unglücklich gewesen. Es ging ihm immer noch um das Schnitzen, unter anderem schnitzte er auch eine  komplette Dreschmaschine, bis zur letzten Schraube. Aber auf seinem Bücherregal begannen sich schon Bücher über Kunst zu sammeln: Mellers Michelangelo, Lázárs Die Schule von Barbizon und eine László Paál-Monografie [3].

Nach der idyllischen Welt von Keszthely kam der Wechsel zum betörenden Trubel von Budapest. Er suchte sich weit weg vom Stadtkern eine Wohnung; sein erster Weg führte zum Kerepesi Friedhof, zum Grab von Munkácsy [4]. Bis zu seinem Tod bewahrte er das kleine Aquarellgemälde auf, das er bei diesem Anlass vom Grab gemalt hatte. An der Kunsthochschule waren Imre Révész, Aladár Edvi Illés und István Bosznay seine Lehrer und Mentoren zu einer von Krisen und von Krankheiten geprägten Zeit. Der schwermütige junge Mann wurde durch tausendfachen Zweifel und selbstzerstörerisches Ringen in eine körperliche und seelische Krise gestoßen, aus der er von István Réti [5] herausgeführt wurde, der ihm beibrachte, dass der Kunst nur mit allergrößter Hingabe und Demut gedient werden dürfe, wobei technische Schliche im Hintergrund bleiben müssen. Vom unbeirrten Fleiß und vom aufrichtigen Vertrauen beherzt, stellte er den Akt ins Zentrum seiner künstlerischen Bestrebungen, da er die Überzeugung gewann, der nackte menschliche Körper sei das Meisterwerk der Natur, und die edelste Aufgabe des Künstlers sei dessen Darstellung.

Das größte, fast schicksalhafte Erlebnis dieser Jahre war für ihn der Moment, als er in Wien, im Museum das kleine Gemälde von Wilhelm Leibl erblickte, das zwei Hände darstellt. „Das ist es! So müsste man malen, mit dieser wunderbaren Feinheit des Tons, mit dieser plastischen Schärfe, Fleck an Fleck angesetzt!“, seufzte er. Hier ist ihm bewusst geworden, dass es in der Natur keine Linien, nur farbige, konturlose Flecken und Töne gibt. Diese Erkenntnis ist der eine Schlüssel zu seiner Kunst: Er sieht und malt Flecken, ohne Linien. Nicht einmal in seinen Grafiken findet man Linien, nur Flecken in verschiedenen Tönen.

Als Vertreter der Hochschuljugend hatte er die Gelegenheit die menschliche Nähe der großen ungarischen Künstler vom Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts: Benczúr, Szinyei-Merse, Ferenczi, Bosznay, Alajos Stróbl und Edvi Illés zu erleben. Letzterer malte zu dieser Zeit Aquarelle, und dieser frischen Technik, mit der man im Gegensatz zur massigen Öltechnik fast eine Wirkung des Schwebens erzielen kann, verschrieb sich József Horváth für sein ganzes Leben.

Nach Erlangung des Diploms kommt er — im Jahre 1914 — mit der Empfehlung von Réti nach Nagybánya [6] zu Seiten von János Thorma. An die dort verbrachte Zeit erinnerte er sich immer als die schönste und glücklichste Periode seines Lebens. Er durfte seine ganze Zeit und alle Kräfte dem Malen, vor allem der Aktmalerei widmen. Vielleicht wäre er für sein ganzes Leben in Nagybánya geblieben, wenn der Erste Weltkrieg ihn nicht als Soldat nach Wien getrieben hätte, wo er aus der Gunst eines rechtschaffenen Hauptmanns den größten Teil seiner Zeit vor den Gemälden von Velasquez, Rembrandt und Rubens verbringen durfte. Wegen seines Fußfehlers wurde er bald vom Dienst befreit und er kam als Zeichenlehrer nach Zombor [7]. Nach Nagybánya und der Kaiserstadt wirkte Zombor mit der Trostlosigkeit der Wüste auf ihn. Seine melancholische Grundnatur wurde hier noch bekümmerter. Sonntags wurden von ihm die Bewohner des Armenhauses gemalt, so tragen seine damaligen Bilder die Brandmarke der Aussichtslosigkeit. Vor der serbischen Besetzung am Ende des Krieges floh er unter abenteuerlichen Umständen über Kroatien nach Hause und erreichte schwer erkrankt sein Heimatdorf. Während der Genesung beginnt er wieder Holz zu schnitzen, malt dann das erste große figurale Aquarell seines Lebens, einen alten Bauern, und gewinnt mit diesem Bild 1921 den Esterházy-Preis der Herbstausstellung der Kunsthalle in Budapest. Die Kritik hebt die Kraft der Charakterisierung und die Tiefe der Seelenbeschreibung hervor.

Nach Ablauf seines Krankenstandes, aber immer noch krank, nimmt er seine neue Arbeit in der Staatlichen Hauptrealschule zu Ödenburg (Sopron) auf. Nachdem es dann um seine Gesundheit besser bestellt ist, richtet sich József Horváth endgültig in der alten Stadt ein, ein inspiratives Mekka der Maler, wo die benachbarten Gemeinden Wandorf (Bánfalva) und Brennberg ihn so sehr an Nagybánya erinnern.

Die Auffindung eines Kreises verständnisvoller Freunde, Bilderkäufe sowohl der Stadt Ödenburg, als auch von Privaten, erfüllen ihn mit zunehmendem Selbstbewusstsein, was in Form einer Reihe von Gemälden mit mehreren Figuren, Portraits und Interieurs Früchte trägt. Es trifft die Zeit der großen Gemälde und großen Erfolge ein. Die Serie beginnt mit der Komposition mit zwei Figuren unter dem Titel Geständnis im Frühjahr 1927. Dieses Gemälde ist das repräsentative Werk der ersten Schaffensperiode des inzwischen bereits 36-jährigen Künstlers. Es wurde mit dem Preis der Ungarischen Aquarell- und Pastellmaler bei der Ausstellung  im Jahre 1929 belohnt.

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Mit kräftigen Flecken, mit der meisterhaften Verteilung des Lichtes wird noch recht grob, unter mutigem Beibehalten der während des Malens entstandener Flecken, der dramatisch angespannte seelische Kampf verewigt, der sich auf den Gesichtern der Tochter, welche ihr Missgeschick gesteht, und der Mutter, die ihr beim Bekenntnis zuhört, sowie in der Bewegung der zwei Paar Hände abspielt. Es handelt sich bei diesem Gemälde um eine wichtige Station der ungarischen Aquarellmalerei, wo ein bisher dem Öl vorenthaltenes Thema mit reifem Können, in der schwierigeren Technik des Aquarells, mit überraschenden, bisher unbekannten Farbeffekten ausgeführt wird.

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Es entstehen noch zwei bedeutende Bilder in diesem Jahr, 1927: Die St. Michaeli-Kirche von innen, welches 1928 den Preis der Hauptstadt erhält, und das Dorfcasino. Fünf alte Bauern sitzen, in zwei zusammenhängende Gruppen gegliedert, in der dicken Luft des „Casinos“. Das durch das enge Fenster hineinsickernde Licht verteilt sich vibrierend auf den grauen Haarschöpfen und reißt die weißen Hemdärmel und bunten Westen aus dem dunklen Hintergrund, umrahmt die mit verschmelzenden Farben gemalten Gesichter voller Leben, so auch ihre würdigen Mitstreiter: die arbeitsamen Bauernhände, um dann unten, auf dem zähen Leder der fünf Paar Stiefel abzusterben. Dieses rustikale Exempel höherer Realitätsdarstellung stellte sich Horváth als Kraftprobe und hat die Probe glänzend bestanden.

Ein wichtiges Element seiner seelischen Beschaffenheit war Humanität, tiefes Mitleid und Liebe zu Menschen in schwierigen Verhältnissen, zu Alten und Leidenden. Ihnen wurde sein ganzes Leben lang der Trost der gefilterten Lichter und der samtigen Farben gespendet. Die Figuren wurden aus dem düsteren Lebenshintergrund hervorgehoben und das leidende Gesicht durch seine Pinselführung mit Lichtstrahlen umwoben. Sein im Jahre 1928 gemaltes Bild Abschied ist vielleicht das erschütterndste von allen. Es ist ein ergreifendes Bildnis des alten, zusammengesunkenen Bauers, der sich unter dem Lichterzelt der Petroleumlampe von seiner sterbenden Gefährtin für ewig verabschiedet, in einen Schleier von trauernden Farben verhüllt.

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Allen Werken von József Horváth ist eine Reihe von Zeichnungsstudien vorangegangen. In ihnen reift die visuelle Betrachtung zur Vision. Die Zeichenstudie von Abschied ist mit dem Staatspreis für Grafik ausgezeichnet worden, das Gemälde selbst erhielt den Izor-Halmos-Preis.

In der landschaftlichen Umgebung von Ödenburg hat sein problembehaftetes Wesen mit immer neuen Herausforderungen zu kämpfen. Horváth visioniert Farbakkorde und sucht das entsprechende Thema zu ihnen. Er studiert die Wirkung von Gelb auf Blau, von Mitisgrün auf Weiß, die gegenseitige Wirkung von Schwarz-Rot-Weiß aufeinander und nimmt sich schrittweise alle Kombinationen der Farbskala vor. Auch die Nähe Wiens hat eine große Bedeutung für ihn, wo er auch regelmäßig hinreist. Von der Gruppe Barbizon, wie Millet, Courbet, Renoir, Menzel und Trübner bekommt er vieles, noch mehr vom Schweden Zorn. In eine richtige Begeisterung wird er aber von Wilhelm Leibl versetzt, dessen Grab in Würzburg er bei einer größeren ausländischen Studienreise im Jahre 1933 aufsucht. Er lernt von jedem, seine persönliche malerische Überzeugung ist aber bereits so ausgegoren und gefestigt, dass keinerlei Strömungen ihn von seinem eigenen Weg abbringen können.

Zu dieser Zeit findet er in seiner Maltechnik auch jene Ausdrucksweise, der er bis zum Ende seines Lebens treu bleibt. József Horváths Augen sahen die Welt weich, weicher, als es in Öl, Tempera oder in der üblichen Weise mit Aquarell hätte ausgedrückt werden können. Aus diesem Grund ist er auf eine neue Art der Aquarellmalerei übergegangen: Malen auf dem mit Wasser übergossenen Whatman-Papier. Diese Technik verlangt vom Maler — besonders bei großflächigen Gemälden — eine außerordentliche Konzentration und Geistesgegenwart; über das perfekte zeichnerische Können hinaus, müssen ja die schnell wechselnden Phasen des Papiertrocknens mit sekundengenauer Präzision zum Auftragen der Farben und zur Harmonisierung der Töne ausgenutzt werden. Und das Ergebnis? Samtig weiche, fast atmende Schatten, phosphoreszierende, flimmernde Lichtstrahlen und — im Zusammenspiel des Ganzen — perfekter Zusammenhalt, Verschmelzung, Einheit. Ausgerüstet mit dieser Technik widmete er jetzt den Großteil seiner schöpferischen Energie dem, was er als die höchste Aufgabe der Malerei empfand – der Aktmalerei. Das unnachgiebige Verlangen nach dem Ausdruck der opalisierenden Lichter des menschlichen Körpers und der tausenden Varianten der feinen Grautöne lässt eine lange Serie von Aktgemälden entstehen. So malt er 1932 seine große Aktkomposition mit zwei Figuren, Ungarischer Samariter, die von der Hauptstädtischen Galerie gekauft wurde, aber 1945 leider verschollen ist.

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Und es folgen Aktbilder, die die Schönheit des weiblichen Körpers preisen und jede Erotik durch die Reinheit der Intention ausschließen. Mit der ersten Fassung seiner Bilder unter dem Titel Vor dem Spiegel gewinnt er im Jahre 1934 den Staatlichen Aquarell-Preis I. Klasse, im gleichen Jahr gewinnt Das Baden den Szilárd-Röck-Preis. Mit seiner Geschlossenheit, seiner skulpturhaften Komposition und seiner auf Töne abgestimmten Kargheit der Farben ist dieses Bild eines der bedeutendsten Meisterstücke im Lebenswerk von Horváth. Im nächsten Jahr wird ihm für sein Gemälde Mutterschaft der Preis der St. Georg-Zunft verliehen.

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József Horváth versetzt seine Figuren meist in die Geschlossenheit von Wänden und Fenstern, diese eingegrenzte Umgebung wird dann von seinem Pinsel mit einem Gold- und Silberrauch der Farben eingesponnen. Er meidet die grellen Farben der plein air (so sehr er auch die Farbergüsse des spanischen Sonnenmalers Sorolla bewundert), und filtert die schrille Sonne mit Fensterglas ab oder ersetzt sie durch Lampenlicht. Diese gedämpften Lichtquellen führen durch den Gegensatz des Dämmerns sowie durch Lichterfunken, die den Körpern entlangflittern, zu einem Glanz von überraschender Intensität.

Inzwischen — im Jahre 1933 — heiratet Horváth, aus jenem Hause Mühl, welches Sopron und Ungarn bereits zwei namhafte Kunstmaler geschenkt hat. Mit seiner Frau an der Seite, die ihn in jeder Hinsicht verstand und ihm bei allem Hilfe leistete, steckte er seine künstlerischen Ziele immer höher. Neben den Frauenakten schuf er mit einer bewundernswerten Gabe der Charakterdarstellung Portraits, unter anderen die Werke Alte Frau, Alter Ungar und Meine Frau. Mit Portraits und Aktgemälden nominiert, wurde er Teilgewinner des mit 5.000 Pengő [8] dotierten Balló-Preises. Die Summe wandte er auf, um drei Sommer in Brennberg mit der Familie zu verbringen, wo seine Landschaftsmalerei einen neuen Aufschwung bekam, wo aber auch Freilicht-Akte und Szenen aus dem Leben der Bergleute von ihm gemalt wurden.

fehér és zöld harmóniája / patak partján . 67/92 cm vízfestmény . no30 . 1936 . soproni horváth józsef

Er war zu dieser Zeit schon so sehr mit Ödenburg verschmolzen, dass er nach schweren Ringen die ehrenvolle Berufung zum Professor an die hauptstädtische Kunsthochschule — wo er den Stuhl von Edvi Illés bzw. Baránszky hätte einnehmen können — ablehnte. Innerhalb von ein paar Jahren entschied er sich nun auch zum zweiten Mal für die Stadt seiner Wahl.

An der Ausstellung der Londoner Royal Academy im Jahre 1938 erntet sein Gemälde mit dem Titel Rotes Leibchen sehr anerkennende Kritik, es kommt sogar zur Reproduktion. Eine geplante  Ausstellung seines Œuvres in England wird aber durch den Krieg verhindert. In diese Zeit fällt auch die Schaffung des vielleicht perfektesten Werkes seiner bisherigen Laufbahn, des großen Gemäldes mit dem Titel Mädchen vor dem Spiegel. Der auf den Gegensatz der warmen und kalten Farben aufgebaute, von lodernden kleinen Lichterflammen umrahmte Mädchenakt von poetischer Wirkung brachte ihm — jetzt indes nicht mehr geteilt — den mit 5.000 Pengő dotierten Balló-Preis, und im folgenden Jahr den Esterházy-Jubiläumspreis. Der Traum von der großen ausländischen Studienreise aus den Mitteln des Balló-Preises wurde aber vom Krieg zerstört. In seiner Enttäuschung war es ein Trostpflaster für ihn, dass ihm der Fidelissima-Preis von Ödenburg als Anerkennung seines bisherigen Wirkens im Jahre 1939 zugesprochen wurde.

tükör előtt . 79/112 cm vízfestmény . no37 . 1937 . soproni horváth józsef

Das unaufhaltsam zunehmende Toben des Kriegssturmes und das Überhandnehmen der Entmenschlichung wirkten immer bedrückender auf seine sensible Seele. Die ängstliche Besorgnis der Mütter wurde von ihm 1942 in seinem psychographischen Meisterwerk Was wird dein Schicksal bringen? malerisch dargestellt. Umgeben von Farben der Armut, zwischen den rauen Sohlen und den sonnengebräunten Beinen der Mutter, auf einer mattroten Schürze liegt, wie eine zärtliche Rosenblüte, der Säugling. Es wird mit diesem Bild eine trostlose Epoche, die Zeit der Luftschutzkeller und des Sirenengeheuls malerisch dokumentiert. Im nächsten Jahr setzt er mit dem Gemälde Ungarische Madonna wiederum den Müttern ein Denkmal. Dieses Bild brachte ihm die Kleine Staatsmedaille in Gold. Aus dieser Zeit stammen die rührenden Bilder seiner Kinder, die Sári– und Berci– Bilder, darunter das Bild von Berci mit roter Kapuze, bei dessen Anblick man den Hauch von Renaissance-Bildern zu verspüren meint. 1943 gewinnt er den Großen Preis der Gesellschaft der Bildenden Künste, was ihm die Befreiung von der Jurybewertung gewährleistet.

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József Horváth gehörte als Schöpfer zu den Fleißigsten. Er war besessen von der Malerei. Jeder Moment des eigenen und des Familienlebens war bei ihm dieser heiligen Leidenschaft untergeordnet. Er kannte keine leeren, vergeudeten Stunden. Sollte er nicht, wie gewohnt, von Morgen bis Abend gemalt haben, dann war es Unterricht. Dreißig Jahre hindurch hat er über den offiziellen Zeichenunterricht hinaus selbstlos jene unterrichtet, bei denen für ihn ein Talent ersichtlich war. Sein Verantwortungsbewusstsein, sein Temperament und seine Geduld lassen ihn als langsam arbeitenden, besonnenen Malern einstufen. Das Gebot, nur Meisterhaftes zu schaffen sowie das Suchen nach künstlerisch Wahrem geboten ihm, den Pinsel — für ihn gebrauchte er immer das Wort pemzli (Pemsel) — erst dann in Bewegung zu setzen, wenn er den richtigen Weg bereits gefunden hatte. Nie oder zumindest sehr selten malte er ohne Modell. Wenn es kein Aktmodell gab, dann versank er in Missbehagen, und malte dabei seine von Leben strotzenden Stillleben (Mispeln, Steinpilze usw.) oder die Stallbilder und die krummen Gassen des Wiener Viertels in Abendbeleuchtung.

1943 konnte Horváth mit der intensiven Unterstützung der Stadt Ödenburg sein neues Atelier aufbauen, die eine zweiseitige Beleuchtung ermöglichte. Hier schuf er weitere Meisterwerke seiner Aktmalkunst, so auch das Gemälde, dessen Figur vor dem großen Atelierfenster, in honiggelbem Lichterglanz badend, auf dem Podium steht, und ein mattblaues Kopftuch trägt. Durch den großen Luftangriff am 6. Dezember 1944 wurde sein Atelier zerstört, es konnte erst 1947 mit Hilfe der Stadt wieder hergestellt werden. Nach 1945 betrachtete er das in Budapest ausgebrochene künstlerische Ideenchaos aus der Ferne. Durch den vorübergehenden Triumph der abstrakten Strömung ist er nicht ins Schwanken geraten, nur wunderte es ihn außerordentlich, wie alteingesessene Realisten unter den Malern von einem Tag zum anderen zu abstrakten Malern wurden, um dann nach der sowjetischen Kunstausstellung vom Jahre 1949 plötzlich wieder zur realistischen Richtung zurückzukehren. Er kannte gegenüber anderen Richtungen keine Intoleranz. Er, der den Pinsel immer mit besonderer Sorgfalt bewegte, war imstande, die Errungenschaften der mit pulsierendem Pinsel und fieberhaftem Eifer arbeitenden Impressionisten zu würdigen, in gewissem Maße fühlte er sich sogar verwandt mit ihnen. Eines hat er aber jedem Künstler erbarmungslos abverlangt: Ehrlichkeit, welche auch den festen Glauben beinhaltet, im Recht zu sein. Wo er dies vermisste, hatte seine Geduld ein Ende.

mi lesz veled? . 72/107 cm vízfestmény . no102 . 1942 . soproni horváth józsef

Unerschütterlich beschritt er seinen eigenen Weg, der oft mit Enttäuschungen gepflastert war. In den Jahren 1945–50 wurden seine Bilder, vor allem die Aktbilder, mal zurückgewiesen, mal wurde er mit kränkender Kritik beleidigt oder wegen seiner düsteren Betrachtungsweise der Realität sogar angegriffen. Der Rat der Stadt Ödenburg kaufte im Sinne einer Wiedergutmachung im Jahre 1950 das Bild Was wird dein Schicksal bringen?, wofür er 1954 den Munkácsy-Preis erhielt. Diese Anerkennung verlieh seinem schöpferischen Willen einen neuen Antrieb. Aus den großen Werken seines letzten Jahrzehnts ragen das Lenky-Portrait, Tratsch, Maisschälen, Verlorenes Leben, Dr. Pröhle heraus, dann seine Themen, die dem Leben der Arbeiter entnommen sind: Feilenschneider, Kesselschmied, Bergleute, Formgießer usw. Einen besonderen Platz in seinem Lebenswerk verdient sein Selbstbildnis der alten Jahre, mit dem er ein Meisterstück der Selbstbetrachtung geschaffen hat. Die Aufzählung seiner Werke könnte noch lange dauern, da die Zahl der von ihm als zum „Opus“ gehörenden, anerkannten Werke an die 500 Stück beträgt.

a piros rékli . 67/89 cm vízfestmény . no20 . 1935 . soproni horváth józsef

Im Frühjahr 1959 stellte József Horváth in Budapest, im Nationalen Salon, im Rahmen einer ihm gewidmeten Ausstellung sein Œuvre vor. Tausende von Besuchern ergötzten und begeisterten sich angesichts seiner Bilder, der größte Teil der Malerkollegen blieb jedoch fern, und die Kritik enthielt sich mit zusammengepresstem Mund der Anerkennung. Horváth litt in jenen Wochen noch mehr als gewohnt, obwohl ihm jene Bewunderung, die ihm, den großen Sohn der Stadt, vom Publikum der Ödenburger Ausstellung entgegengebracht wurde, einigermaßen Trost spendete; seitens des Stadtrates und vom Fonds für Bildende Künste wurde die Anerkennung mit dem Kauf von weiteren Gemälden ausgedrückt.

Das Lebenswerk von József Horváth ist am 22. April 1961 mit bestürzender Schnelligkeit zum Abschluss gekommen. Als wäre ein Turm von Ödenburg eingestürzt. Die Stadt veränderte sich plötzlich, da jemand von ihren Straßen verschwunden ist: seine überragende, hinkende Gestalt, mit allen Anzeichen des inneren Loderns; mit den traurigen Augen unter der gewölbten Stirn, mit den im Wind flatternden grauen Haarsträhnen; und mit Pajti, dem getreuen Dackel neben seinem klopfenden Stock. In der hohlen Stille seines leeren Ateliers warteten seine gemalten Geschöpfe schlotternd, dass sich der Schlüssel endlich im Schloss dreht. Vergebliches Warten. Der Kopf des Meisters neigte sich auf das ewige Kopfkissen.

Die Zeit wird über sein Werk richten, die Zeit, von der die verlogenen Produkte der vergänglichen Mode in Vergessenheit verweht werden, von der aber erhalten wird, was wahr, zeitlos und von immerwährender Gültigkeit ist

 

Rezső Becht [9]     Horváth József az ember és a festő – József Horváth, der Mensch und der Maler

 

[1]       Ein bäuerliches Taschen-Klappmesser mit gebogener Klinge und farbig verziertem Holzgriff
[2]       Komitate im heutigen West- und Südungarn
[3]       László Paál (1846–1879)       plein-air Landschaftsmaler, im Kreise der Künstler von Barbizon
[4]       Mihály Munkácsy (1844–1900)       einer der ersten ungarischen Maler die es zum Weltruhm geschafft haben
[5]       István Réti (1872–1945)       Maler und Grafiker, Begründer der impressionistischen Künstlerkolonie Nagybánya
[6]       Stätte einer epocheschaffenden Künstlerkolonie, heute Baia Mare, Rumänien, deutscher Name Frauenbach
[7]       Heute Sombor, Serbien
[8]       Ungarische Währung der Zwischenkriegszeit
[9]       Rezső Becht (1893–1976)       Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Redakteur der Kulturzeitschrift Soproni Szemle,
Meister der Soproner schönen Prosa