008

Seine Kunst ist ein geschätzter Wert, sein Leben ein moralisches Vorbild. Wenn ich seine Kunst charakterisieren will, erinnere ich mich an seine Werke, in denen sich seine schöpferische Phantasie schön und unverletzlich glaubte. Will ich sein moralisches Verhalten erkennen, muss ich mir seine Worte und Taten in den Sinn rufen.

Der Schüler erinnert sich in dieser Einführung an seinen verstorbenen Lehrer und Freund, und versucht so, mit Ehrfurcht seinen Geist heraufzubeschwören. Wer ihn irgendwann gesehen hat, wird seine kerzengerade Gestalt nie vergessen, als sei sie die symbolische Verkörperung seiner prinzipiellen Unbeugsamkeit gewesen. Wer allerdings auch mit ihm sprach, der spürte, dass diese moralische Härte von warmer Menschlichkeit durchdrungen war. Ich möchte Zeugnis davon ablegen, dass seine Sorge um seine Schüler unerschöpflich war. Selbst nach Jahrzehnten erlosch seine interessierte Aufmerksamkeit nicht, noch nicht einmal gegenüber denjenigen, die seine Fürsorge mit der Zeit vergaßen und seine Liebe nicht mehr erwiderten.

Die mit tiefem menschlichem Interesse gepaarte Leidenschaft des Lehrens, der Wunsch, Wissen weiterzugeben, begleiteten ihn sein Leben lang. Vielleicht trugen auch das kunstethische Beispiel der Maler von Nagybánya und das geistige Erbe seines Meisters István Réti hierzu bei.

Sein Lebensstil war noch einfacher als anspruchslos; er war asketisch. Das war der Preis dafür, dass er das, wofür er lebte, wahr machen konnte: seine künstlerischen Pläne. Entschlossenheit war erforderlich, um diese Lebensweise auf sich zu nehmen. József Horváth war jedoch ein entschlossener Mensch. Das zeigt auch seine Rolle im öffentlichen Leben. Er suchte diese Rolle nicht, wenn es dennoch dazu kam, war er mutig und bestimmt. Die apokalyptischen Zeiten der vergangenen Jahre brachten seine prinzipielle Festigkeit und sein humanes Denken nie zum Wanken. Er war mutig in der Tat, auch dann, wenn in Gefahr Geratene Hilfe brauchten, denn er war ein mutiger, wahrhaftiger und makelloser Charakter. Ein bedeutender Künstler sein kann nur derjenige, der auch als Mensch von Bedeutung ist. Und das fängt beim moralischen Mut an.

Seine Malerei waren das ständige, unnachgiebige suchende Tasten der Phantasie und des Pinsels nach Schönheit. Es gibt Maler, für die die Bildschöpfung ein intellektueller Kampf ist, und es gibt Maler, für die das Malen ein laufendes Gespräch, die natürliche Sprache des Ausdrucks ist. Horváth gehörte zu den Letzteren. Vielleicht ist das eine der Erklärungen dafür, dass seine Kunst den Weg in die Herzen so vieler Menschen fand.

Seine Malerei hat aber auch einen anderen Zauber: die männliche Lyrik, das emotionelle Feuer, die seine Werke ausstrahlen. Denn in seiner Kunst ist nicht der Stil das Wichtigste, sondern die Leidenschaft, durch die er zustande gekommen ist. Der Stil ist lediglich die Bildung des Malers, Hilfsmittel um bestehen zu können, Waffenrüstung der Unternehmung. Jede neue Unternehmung schafft auch neue Realisierungsinstrumente. Dies ist auch die Erklärung für die Stiländerung der Epochen: Jeder Stil lebt nur solange, wie sein Geheimnis nicht gelöst wird. Jenen Werken, in denen die emotionelle Ladung besonders stark ist, droht diese Gefahr des Vergehens jedoch nicht.

Horváths Bilder sind solche Werke. Interessanter als die Stilmerkmale seiner Werke ist der Inhalt. Nicht die Grammatik der Kunst interessierte ihn, sondern die Sprache selbst. Der emotionelle Gehalt spricht uns in der Kunst Horváths mit einer gewissen Ernsthaftigkeit ihres Vortrags an. Das hängt mit dem kunstmoralischen Verhalten zusammen, dessen Widerschein in jedem seiner Werke strahlend gegenwärtig ist. Was seine Kunst anbetrifft, kann man der Auffassung sein: Warum fehlt seinem Stil der Zauber der Aktualität, das provokative Element, das den Betrachter mit der Realität konfrontiert?

Wir können aber auch die Meinung vertreten: Woher nimmt er den Mut für eine Loyalität, mit der er

sich den großen Idealen bekennt, eine Loyalität, die andere schon lange aufgegeben haben? Die Kunst ist in seiner Interpretation nicht, der Gegenwart das Neue abzunötigen, sondern die Erinnerung, die Verwirklichung der Vollständigkeit der menschlichen Seele, die Wiederherstellung des Wohlbefindens der Seele. Er war – richtigerweise – der Meinung, dass man Kunst nicht erfinden, sondern nur ausüben kann, da sie seit vielen tausend Jahren die natürliche Mitteilungsform der menschlichen Seele ist.

Kunst ist der Luxus der Seele, und es sind dazu solche Seelen nötig, zu denen dieser Luxus passt. Das dürfte der Gedanke gewesen sein, der József Horváth so sehr beschäftigte, als er über die Frage der kunstverständigen – und auch seine Kunst verstehenden – Elite grübelte.

Monet bekannte noch, dass er so male, wie die Vögel singen, und Seurat war der erste, der die Theorie und die Wichtigkeit der Methodik betonte. Die moderne Stilentwicklung verrät, dass die Maler eine neue Wahrheit entdeckt haben: Wirklichkeit und künstlerische Darstellung sind durch eine verborgene Evidenz miteinander verbunden. Die Wirkung ist künstlerischer, wenn der Kontakt weitläufig genug ist, denn nur ein stärkerer Funken Phantasie ist fähig durchzuschlagen.

Mit dieser Entdeckung ist jedoch auch die natürliche Sprache der Malerei erloschen und die Maler haben dem traditionellen, konventionellen Stil abgeschworen. Davor war der gleichmäßig dahin fließende Golfstrom des Zeitstils die Tragkraft; nun verschwand diese Tragkraft unter ihnen und jeder musste mit seiner eigenen Kraft wirtschaftend ans Ziel gelangen.

Die Anhänger der neuen Evidenz, die Vertreter der Avantgarde, stoßen allerdings bei demjenigen, auf den sie sich am liebsten berufen, auf Widerstreben. Der Vertreter des modernen naturwissenschaftlichen Wandels, Heisenberg, Begründer der heutigen Quantenmechanik, sagte: „…wir haben kaum einen Grund, anzunehmen, das Weltbild der heutigen Naturwissenschaften habe die Begegnung der Künstler unserer Zeit mit der Natur unmittelbar beeinflusst.”

031

In der Kunst von József Horváth ist keine Spur davon vorhanden, dass sich an dieser herkömmlichen Verbindung zwischen Mensch und Natur irgend etwas geändert hätte. Gräser, Bäume, Berge und Gewässer auf seinen Bildern – als ertönten sie mit menschlicher Stimme, mit der Stimme der Freude, des Schmerzes, der Liebe und der Entzückung. Er liebte Werke, welche den Abdruck der menschlichen Ergriffenheit tragen, sowie jene Erscheinungen, deren Stimmung besonders gesteigert und ergreifend ist, wodurch sich die Natur innig, mit der Wunderhaftigkeit der Mythologie zeigt.

030

Er war ein Virtuose der von ihm gewählten Technik. Gibt es aber Kunst ohne Virtuosität? Degas sagte: ”Wenn du Wissen im Wert von hunderttausend Franc hast, kaufe noch welches für fünf Sous dazu.” Wie auch für die Griechen bedeutete Techné für ihn ebenfalls die Kunst. Horváth wusste, dass Kunstfleiss ein wichtiges Element der künstlerischen Arbeit ist: Die Zeit verschont nichts, was ohne ihn zustande gebracht wird. Eine solche Kraft der Überzeugung war nötig, um sich auf ein Gebiet zu beschränken, welches die Mehrheit der Maler lediglich als Vorbereitungsstufe der Bildschöpfung ansieht, damit sein Talent danach auf diesem Gebiet eine besondere Kunst zur Entfaltung bringt! Wie hätte er wohl sein künstlerisches Bekenntnis formuliert? Schriftlich keine Spur, und auch in unseren Gesprächen machte er hierüber keine Aussagen. Er legte keinen Wert darauf, in Worte zu pressen, was seine Malerei so konzentriert ausdrückte. Ich glaube jedoch nicht, dass ihn diese Definition befremdet hätte: Kunst ist die freie, schöne Interpretation der Natur. Seine Kraft lag im künstlerischen Selbstbewusstsein, das stärker als das anderer war, in der Erkenntnis, dass man im kleinen Kreis standhaft und beharrlich – im Prinzip und in der Tat – zu dem stehen muss, was man in sich selbst als sein Eigen und als Wert erkannt hat. Das ist keine geringe Tugend. Sich selbst überlassen, krank und auch von finanziellen Sorgen geplagt kommt sie schier der Heldenhaftigkeit des Sokrates gleich, der im Armesünderhaus Harfenstunden nahm.

Er war in der Fülle seiner schöpferischen Kraft, als er am 22. April 1961 unerwartet starb.

Ferenc Sebestény

Ferenc Sebestény (Sebesta, 1907–1972) geboren in Sopron, in Budapest wirkender Kunstmaler, einer der hervorragendsten Schüler von J. H. Bedeutend auch als Kunst-Pädagoge und Schriftsteller